Sonntag, 1. Juli 2012

Eine Fabel für dich.



Eine Fabel für Dich.

-Der Hass des brennenden Wolfes-


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In den kasachischen Bergen herrschte ein Machtkampf um Territorien zwischen Raubkatzen, der nicht zu einer Lösung führte, er führte in ein Chaos.
Jene mutigen Tiere, die eine neue Hoffnung in einer neuen Welt suchten, fanden eine friedlichere Heimat in den Gebieten an der See im flachen Land. Gänse, Bieber, Rotkehlchen und allerhand Andere suchten ihren Weg in den Frieden, der Weg war ein beschwerlicher, die Zukunft ungewiss...

Die Obergans mit den anderen einheimischen Gänsen am begehrenswerten Teich lebten seit sie denken konnten an jenem Ort, die Gruppe verkündete der Neuankömmlin die Regeln hier am Teiche, doch wirklich erfreut waren sie nicht über die neue Zuwanderung. Sie war schlichtweg anders. Das mochte man nicht an diesem Ort.
Sie mochten es nicht gerne sehen, dass jene neue Gans aus den kasachischen Bergen sich nun hier ansiedeln wollte, sie zeigten ihr deutlich, dass die Einheimischen die Regeln bestimmten, als würde ihnen das Land gehören, dieses freie von Göttern erschaffene Land. 
   
Die Gänse hier wähnten sich schläuer, sie wollten zur Winterzeit nicht gen Süden fliegen und ihre Behausung  aufgeben, sie richteten sich an den Menschen und besetzten das Land, das sie für sich beanspruchten. Sobald es winterte und fröstelte, wurde es zur Winterzeit Brauch bei den Gänsen dem einheimischen Weißen Wolf im nahegelegenen Walde eine Gans zu opfern um ihn satt zu wissen und sicher durch den Winter kommen zu koennen.
Was die Gruppe von Gänsen niemals würde aussprechen, keine Zunge für die Ehrlichkeit besitzend, wurde im Laufe der Jahre kaltblütige Tradition, das schwächste Geschöpf im Gliede sollte sich stets dem Weißen Wolf opfern, so regelten die Gänse stets die Opferung. Entscheiden tat in Wirklichkeit immer die Obergans.

Die Schwächste war die Unangepasste. Daß die ihrige Erziehung, die ihrige Erfahrung, die ihrige Seele, die sensibelste Natur in sich vereinte in ihr ein schönes wachsames nachdenkliches Wesen erschuf, nutzte ihr wenig. Tatsächlich hebte sie sich  hervor von der Gruppe am Teiche, schon in den ersten Tagen wollte die Gruppe jedoch nicht akzeptieren, wie so oft, als die ersten Blätter fielen, wusste die Gruppe, wen sie zu opfern hatte, wen sie opfern konnte dem Wolfe.

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Es winterte und es fröstelte im Lande.
Die Gänse schwiegen und schickten die Neue in den Wald. Der Weiße Wolf entdeckte den Fremdling in seinem Gebiet und fauchte sie an sich in seinem Territorium nicht auszubreiten.

Die Unwissende beteuerte sie wisse nicht, sie käme aus den kasachischen Bergen und sei noch neu in diesem Gefilde und wisse es nicht besser, sie kenne sich hier nicht aus und wisse so wenig, könne sie nur alles wissen, will sie den Wolf überzeugen, dass sie nichts wisse und niemals alles wissen werde.

Der Wolf hob seine Klaue, die Gans verängstigt in der Kälte verharrend musste mit ansehen wie er... in den Schnee zeichnete!

Der Weiße Wolf fraß Gänse, ja, bei ihr erkannte er gleich Anmut.
Er zeichnete mit seiner Klaue einen leicht ovalen Kreis in den Schnee.

Währenddessen der Wolf: „Diese blöden Gänse schicken alljährlich eine neue Unwissende und stören die winterliche Ruhe des Waldes! Du möchtest verstehen, wie man mit dem Wissen umzugehen hat. Ob man alles wissen koenne? Ich kann dir etwas zeigen, das mir mein alter Lehrer einst erklären wollte, ich brauchte jedoch Zeit um zu verstehen.“ Der Wolf senkte seinen Blick auf den Kreis im Schnee.

„Stelle dir vor, dieser Kreis wäre die Größe deines Wissenstandes zu Anfang deines Lebens in deinen jungen Jahren. Diese Fläche innerhalb des Kreises zeigt deinen persönlichen Wissensstand. Das alles was außerhalb dieses Kreises sich befindet, symbolisiert all das was du noch nicht weisst, das Unbekannte, das Nichtwissen, noch unbekannte Probleme und Lösungen, Erkenntnisse und Erfahrungen, eine so große unbekannte Fläche, dass sie bis raus aus dem Wald reicht...
 
Im Laufe der Jahre hast du gelernt und erfahren, beobachtet und die Natur gelesen, dein Wissenstand wurde größer, der Kreis breitete sich weiter und weiter aus, die Fläche des Kreises wurde größer."




"Wenn man die Fläche außerhalb des Kreises als unbekanntes Wissen ansieht, die Fläche innerhalb des Kreises als das bekannte Wissen, kann man die Linien des Kreises als Grenze deines Wissenstandes verstehen, es sind die Grenzen hin zum Unbekannten, hier an dieser Linie endet dein Wissen hin zum Unwissen, diese Linie formuliert den Sinn des Lebens, an dieser Grenze wirst du immer wieder auf neue Fragen stoßen um das Unwissen zu vereinnahmen, zu umarmen, verstehen zu wollen. Der Kreis wird nur dann größer, wenn man wissen will was man nicht weiß, wenn was einen treibt, wenn man etwas wissen will. Nur die F r a g e kann die Grenzen des Wissens hin zur Erkenntnis erweitern.   


Je größer sich die Fläche ausbreitet, desto größer werden die Grenzen deines Kreises. Das Dilemma und gleichzeitig das Schöne am Wissen ist, dass dein Wissen größer wird und gleichzeitig der Umfang, die Länge der Grenzen deines Unwissens, im selbem Maße steigt, du bekommst mit dem Wissen gleichzeitig die selbe Menge an neuen Fragen, als ob man mit den Erkenntnissen  nicht zufrieden sein kann weil im selbem Moment der Erkenntnis neue Fragen entstehen, kein Teufelskreis, eine Lebensaufgabe.
Es gibt viel zu entdecken, zu viel zu entdecken. Je mehr du weisst, desto mehr Fragen stellst du dir. Fragen, die du dir in jungen Jahren nicht stellen vorstellen konntest, heute bist du nicht älter, früher warst du nicht jünger, die Erkenntnis selbst ist ein Jungbrunnen.  Eine Lebensaufgabe, die nie aufhören muss, eine Ewigkeit des Seins, hin zum Ziel zu wissen wie es besser geht. Wie es funktioniert. Weil du weisst, weisst du, dass du nicht viel weisst und gerade deswegen viel wissen willst, bis hin in den Tod.

Die Gänse nun am Teiche, haben an einem Punkt in ihren Leben die Überzeugung gehabt, nicht mehr wissen zu müssen, sie meinten sie würden genug wissen um nicht mehr wissen zu müssen, sie seien schon schlau und intelligent genug, sie wurden eingebildet, sie stellten sich keine Fragen mehr, warum auch, sie meinten schliesslich alles zu wissen bis sie schliesslich aufhörten zu denken, sie dachten seitdem nicht mehr nach,  ü ber die Welt, ü ber die Geheimnisse des Lebens, ü ber Neues machten sie sich nur noch lustig...
Sie wussten es nicht besser.
Wenn ich mich zeigte und mich unterhalten wollen würde, rennen sie verängstigt in ihre Verstecke. So muß es doch nicht sein.

Der Hass des brennenden Wolfes opferte die Gänse vor Wut über jene dümmlichen herzlosen und regelrecht gemeinen Gruppentiere. Der Wolf wusste genau, dass ein Rudel unter Wölfen nur funktioniere mit den Regeln der Gleichberechtigung und des Vertrauens, er verachtete schlichtweg die Philosophie der Gänse am Teich, sie wussten es nicht besser..." 

Die Zuhörerin begleitete den Wolf, sie konnte sich mit der Meinung des Wolfes identifizieren und dankte ihm für die Zeichnung im Schnee, sie  verstand und zweifelte dennoch: „All das zu wissen schön und gut, doch was soll ich mit dem Wissen anfangen, kann ich kleines Wesen doch nichts ändern...“

Der Wolf konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Er redete ihr Mut zu, dass ihre Zweifel immer berechtigt sein werden, sie seien die ersten Schritte hin zu einer dieser Fragen, die beantwortet werden wollen, für die es garantiert eine Antwort geben werde, wenn man sich die Zeit nimmt darüber nachzudenken. Der Wolf wollte ihr nicht konkret verraten, dass er davon überzeugt sei, dass der Geist die wahre Größe eines Wesens beweist, dass die eigenen Kräfte so schwach erscheinen mögen, weil man sie kontrolliert, weil man sie inne hat, weil sie im Herzen stecke,  weil die Stärke im Herzen beginnen muss und ihre Konsequenzen die Zukunft bestimmen werde, seine Überzeugung wollte der Wolf der Gans nicht erzählen, er mochte es nicht über solch persönliche Überzeugungen reden, jene Wesen wie dieses, eine Erscheinung vor ihm, wird ihre Erfahrung machen, da war er sich sicher. 



„Intelligenz bedeutet auch das Leben als Frage zu sehen, zu wissen warum die Welt so ist, davon auszugehen, als ob man nichts wüsste, als waere man noch Kind,  als ob man alles lernen müsste. Als ob man der dümmste von allen sei, stellst du die wesentlichen und wichtigen Fragen, die dich nur vielleicht zur Lösung bringen, der Weg jedoch niemals unnütz sein wird, da man es danach besser weiß.“

*

Du bist dein eigener Lehrer, letztendlich kannst n u r  d u entscheiden was du wie gelernt hast.
Ich lernte, dass ich keine Gans mag, liegt schwer im Magen, bekomme immer nur Bauchschmerzen, weißt du was ich wirklich mag. Ich mag Erdbeeren. Erdbeeren in Honig. Ich reisse die Gänse nur um die Erdbeeren im Walt zu düngern, ihr Fleisch, ihr Blut lässt die Erde besser wachsen, ich bin mittlerweile ein wirklicher Fachmann wenn es um Erdbeeren geht.






Verlegen wegen all den Komplimenten des Wolfes und dem Vertrauen in ihr, wollte sie nichtsdestotrotz nicht wahrhaben. Mit ihren Pfoten ohne Schwimmfalten, jenen lang gewachsenen Ohren und einem stumpfen Schnabel sah sie sich in ihren Defiziten bestätigt in ihren Schwächen genauso unvollkommen zu sein wie sie sich fühlte.

Der Wolf stellte die berechtigte Frage, warum sie der Meinung sei Gans zu sein.


Ende.